Die kerb

aus der Jubiläumsausgabe 130 Jahre Nieder-Eschbacher Kerb 1979

Kerbe-Chronik von Günther Vogt und Holger Dyhr

(Original Abschrift)

Wem is die Kerb:                  unser

Wer nimmt se uns:               kaaner

Zicke zacke, zicke zacke:      heu, heu, heu

Eßkarölche,Eßkarölche:       roll, roll, roll

Hausmacher,Hausmacher:   Wurscht, Wurscht, Wurscht

Flanke, Schuß, bumm:         Gool

 

Das ist der Schlachtruf der Kerbeburschen von Nieder-Eschbach, der jungen Männer, die sich zusammentun, um die Kerb am zweiten Wochenende im September zu organisieren. Noch hat es niemand erzählen können, wie oft sie unter dem Kommando ihres Präsidenten, des "Presi", diesen Schlachtruf ausstoßen während der Kampagne, zu der auch die vielen vorbereitenden Sitzungen in den Monaten zuvor gezählt werden müssen. Doch einige hundert Male ist er bestimmt zu hören pro Jahr.

Nach moderner Zeitrechnung soll es in diesem Jahr 1979 die 130. Kerb von Nieder-Eschbach sein.

Wieso das?

Im Nieder-Eschbacher Kerbeblatt vom 7. November 1948 las es die staunende Welt:

 

Historisches zur Eschbacher Kerb

"Im nächsten Jahr sind es 100 Jahre her, seit in Nieder-Eschbach zum 1.mal Kerb gefeiert wurde.

Laut alter Überlieferung war dieses erste offizielle Kerb im November des Jahres 1849. Nach dem die Revolution 1848 verpufft war und für die Eschbächer Bürger nicht anderes gebracht hatte, als auch wie früher ihre tägliche Arbeit, sagten sie sich: wir machen es anders als die Radaubrüder von der Revolution, wir veranstalten eine Kerb, damit unsere Nachkommen in 100 Jahren dann ein Jubiläumsfest feiern können. So hielten die Eschbächer bis heute getreu an ihrer Kerb fest. Jedes Jahr, wenn im Herbst die größte Arbeit getan ist, verbringen wir ein paar Tage in Lust und Freude, bei Tanz, Essen und Trinken. Diese Traditionsreihe wurde nur in der größten Not gebrochen, dies war in den Kriegs- und Nachkriegszeiten. Aber auch die kerbarme Zeit des 2. Weltkrieges haben wir hinter uns gebracht und rüsten nun bereits zur dritten Kerb nach dieser langen Kerblosen Zeit, denn auch die stärkste Macht kann die Eschbächer nicht von ihrer Kerb abbringen, denn diese Kerbtage sind das größte Fest des ganzen Jahres.

Auch in diesem Jahr werden wir bestrebt sein trotz Maul- und Klauenseuche so viel wie möglich auf die Beine zu bringen, sodaß die 99. Kerb in altgewohnter Weise stattfindet.

Wir hoffen, daß dann in dem nächsten, dem 100. Kerbjahr, wieder ganz friedenmäßig gefeiert werden kann."

 

In diesem Bericht steckt viel Wahres. Nur eine ganze Kleinigkeit ist ziemlich falsch: daß im Jahr 1849 die erste Kerb gefeiert worden sein soll! Das ist eine glatter Erfindung, und ihr Autor, Kerbbursch Ludwig Seiboldt 6., der Jüngere (später vom Finanzamt mit der Kenn-Nummer Ludwig Seiboldt 8. bedacht) hat das auch genau gewußt, das er eine faustdicke Ente in die Welt setzte. Aber ihm war's egal, und die Eschbächer haben ihm geglaubt, weil sie die Gelegenheit begrüßten, im Jahr 1949 endlich wieder mal kräftig auf den Putz hauen zu können.

Bild: Beck,Alma
Bild: Beck,Alma



Man kann er mehrfach beweisen, daß die Eschbächer Kerb viel älter ist als behauptet. Das früheste, heute belegbare Jahr ist 1754. In einem Ausgabebuch des Tobias Fahz steht nämlich zu lesen:

" Der Knecht bekommt zu Lohn 24 Gulden, davon auf die hießige Kerb 1 Gulden, 15 Kreuzer".

Und ausgerechnet jener geschichtsfälschende Ludwig Seiboldt 8. besitzt ein Haushaltungstagebuch seines Urgroßvaters Franz Seiboldt, Schultheiß von Nieder-Eschbach. Darin ist genau verzeichnet, was für die Kirchweih anno 1810 angeschafft worden ist:

Lichter, Öl, Zucker, Wein, Rindfleisch, Schweinefleisch, Mehl, Äpfelwein und Kümmel, insgesamt für 205 Gulden Fressalien und Getränke, davon allein für Wein 129 Gulden, was überdies beweißt, das schon vor 170 Jahren während der Eschbacher Kerb gewaltig gesoffen worden ist. Kurz und gut, unsere Kerb ist schon vor einer längeren Zeit gefeiert worden, als wir denken. Wann es in Wirklichkeit zum ersten Mal war - kein Mensch wird das jemals herauskriegen!

Vom November zum September

Die Kerb fällt auf das zweite Wochenende im September. Aber auch das war nicht immer so.

Vielmehr ist es, seit wir das Geschehen verfolgen können, ein paar Mal hin und her gegangen.

Erster Beweis: 1. September 1840.

Da stellt der Ortsvorstand zu Nieder-Eschbach an den

"Großherzoglich Hessischen Kreisrath des Kreises Friedberg" folgendes Gesuch:

"Da schon mehrmals der Wunsch der hiesigen Gastwirthe, welche gewöhnlich auf das bisher den 11ten November oder Martinitag für Niedereschbach fallende Kirchweihfest Musik halten, geäußert worden ist, man möge dahin wirken, daß gedachte Kirchweihe etwas früher gehalten werde dürfte, indem, wie bekannt, die Witterung im Monat November schon sehr ungünstig und dadurch, ob man gleich nahe bei den Städten Frankfurt, Friedberg oder Homburg liegt, sowie auch von den benachbarten Ortschaften doch keine Gäste, welche um sich Vergnügen machen zu wollen, zu erwarten hätte, sie an ihren wirtschaftlichen Einrichtungen bedeutenden Schaden erlitten, was ihnen gewiß nicht, wenn man solches abändern und ihre Wirthschaft dadurch verbessern könnte, von der hochzuverehrenden Kreisbehörde vergönnt werde.

Auf eben angeführte Gründe gestützt, sowie auch dem allgemeinen Wunsch dahier zu entsprechen, insbesondere weil die Witterung im November schon sehr kalt und rauh, auch die Jugend auf dem Lande bei dieser Gelegenheit sehr munder und lustig ist und dadurch hier schon mancher Jüngling und Jungfrau durch Erhitzung und Erkältung schwere Krankheiten sich zugezogen haben, So wünscht der unterzeichnenden Ortsvorstand, das das Kirchweihfest für Niedereschbach auf den 18ten Oktober und zwar, daß es immer der Woche auf den Sonntag und Montag, wo der 18te Oktober einschlägt, gehalten werden dürfte, und bittet zugleich Großherzoglichen Hessischen Herrn Kreisrath wolle die Genehmigung obigen Wunsches geneigt ertheilen.

Der Bürgermeister: Fahz.

Der Gemeinderat: Philip Fintzel II, Philip Steinmetz, Jacob Richter; Heinrich Brod, Philip Schwenck, Johannes Kester III., Siegfried Geil."

Der Herr Kreisrat hat am 4. September 1840 die Genehmigung erteilt.

( So schnell können Ämter arbeiten, wenn sie wollen.)

Die Nachricht wurde am 14. September durch die Ortsschelle in Nieder-Eschbach bekanntgemacht.


Elf Jährchen später waren die Eschbächer die Kerb im Oktober schon wieder leid. Warum, ist nicht zu erfahren. Jedenfalls antwortete die Großherzogliche Hessische Regierungskommission des Regeierungsbezirks Friedberg auf ein entsprechendes Gesuch am 28. September 1851:

"Wir genehmigen, daß das Kirchweihfest zu Nieder-Eschbach für die Zukunft Martini jeden Jahres abgehlten werde, wie dieses in früherer Zeit herkömmlich war."

Am 2. Oktober 1851 hat der Polizeidiener Pietz mit der Schelle diese Neuigkeit der Gemeinde und den Wirten bekanntgemacht.

Dann hat sich der Kerbtermin im November lange gehalten. Bis zum Jahr 1926 oder 1927. Da wurde wieder auf die kalte Jahreszeit hingewiesen un die traurige Tatsache, das die Kinder so gar kein Vergnügen mit dem Karussell und anderem Gaudi haben könnten. Also wurde die Kerb auf den September verlegt.

Das ging gut bis zum Jahr 1933, als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen. Sie wollten vieles anders machen als ihre verhaßten politischen Vorgänger, und also verschoben sie auch die Kerb wieder in den November hinein.

Aber nicht für lange, denn schon ein paar Jahre später wurde die Kerb von neuem im September gefeiert, an einem Sonntag, der nicht mit dem Vilbeler Markt, dem Homburger Laternenfest und der Bonameser Kerb kollidierte.

Die erste Kerb nach dem 2. Weltkrieg, im Jahr 1946, wurde aber doch wieder im November abgehalten. Erst im Jahr 1950 entschlossen sich die Kerbeburschen, gefolgt vom Gemeindevorstand, das Fest künftig im September zu feiern. Und so ist es bis heute geblieben.

Zicke, zacke, zicke, zacke heu, heu ,heu.


Würde man  das Jahr 1754 zu Grunde legen, hätte wir im Jahr 2014 die 260. Kerb gefeiert.